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Mittwoch, 18 Juli 2018

Teenager: Ist mein halbwüchsiger Sohn zu nett? - Kolumne von Jesper Juul

Machtkämpfe zwischen Heranwachsenden und Eltern sind kein Naturgesetz. Bleiben sie aus, heißt das nicht, dass Kindern etwas fehlt oder Eltern etwas falsch machen

Frage

Ich bin Mutter von zwei Kindern, mein ältester Sohn ist zwölf Jahre alt. Vom Vater meiner Kinder lebe ich getrennt. Mein Älterer ist ein sehr liebenswerter Bub und großer Bruder. Es gibt bei uns zu Hause wenig Drama wie zum Beispiel Türzuschlagen, dafür viel Freude und Zuversicht. Also nichts, das mich beunruhigen würde. Aber ich war auch einmal Teenager, und ich habe es nie gewagt, meine Mutter herauszufordern, aus Angst, zurückgewiesen und dadurch unsichtbar zu werden. Daher frage ich mich, ob mein Sohn vielleicht zu gehorsam ist.

Meine Beziehung zu meiner Mutter war sehr schwierig. Oft hatte ich das Gefühl, sie sei eine Planierraupe, die mich niedermäht. Solange ich gehorchte, war alles gut. Innerlich war ich furchtbar wütend und auch ängstlich, was letztlich in einer Essstörung endete. Das sah aber niemand, und ich tat nur mir selbst weh.

Es fällt es mir schwer zu sehen, ob ich vielleicht selbst das Verhalten meiner Mutter angenommen habe und ob mein Sohn vielleicht in derselben Situation ist, wie ich es damals war. Gehorsame Kinder waren nie mein Ziel! Es macht mir Sorgen, dass er vielleicht Probleme, wie ich sie hatte, von mir erbt.

Einerseits streitet mein Sohn nicht mit mir, und er tut so ziemlich alles, worum ich ihn im Haushalt bitte. Tut er es, weil er einem Konflikt aus dem Weg gehen will? Weil er Angst vor mir hat oder weil er mit dem Status quo wirklich zufrieden ist?

Andererseits liebt er es auch, mit seiner Familie Zeit zu verbringen. Es gibt schon Situationen, in denen er mit etwas nicht einverstanden ist und wütend wird. Diese sind aber sehr selten. Er ist eher der Denker, der sich zurückzieht und viel über Dinge nachdenkt, aber weniger darüber redet. Dabei habe ich nie den Eindruck, dass er sich von uns als Familie oder von mir zurückzieht. Er hat gute Freunde, und so wie ich es wahrnehme, gelingt es ihm gut, sich in seiner Peergroup zu zeigen, also auch Grenzen zu setzen und zu sagen, was er denkt.

Trotzdem habe ich dieses Gefühl, dass ich auf einen großen Knall warte, den ich auch fürchte. Bräuchte mein Sohn nicht auch ein wenig "Ellenbogen", um sich seinen Raum zum Wachsen freizukämpfen im Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein? Ich frage mich immer noch, ob er so nett zu mir ist, weil ich von seinem Vater getrennt bin und er deshalb versucht sich anzupassen.

Mein Ältester ist so eine freundliche Seele, und ich sehe, dass das von anderen ausgenutzt wird. Ich weiß nicht, ob das deshalb so ist, weil wir so harmonisch miteinander sind, oder weil er das Gefühl hat, keine andere Wahl zu haben. Sollte ich vielleicht etwas mehr Druck ausüben, damit er sich wehren muss? Oft wünschte ich, dass ich uns von außen sehen könnte, um mehr Klarheit zu bekommen.

Antwort

Lassen Sie mich mit zwei Dingen beginnen. Erstens: Machtkämpfe zwischen großen Kindern und ihren Eltern sind kein Naturgesetz! In einigen Kulturen feiern die Jugendlichen den Übergang zum Erwachsenenalter, während in unserem Teil der Welt die Kindheit so lange wie möglich ausgedehnt wird. Das schafft ein breites Spektrum an Konflikten. Manche Eltern genießen das immer noch "kindliche" Verhalten ihrer Töchter und Söhne, andere wiederum haben einen Kloß im Hals, wenn sie mir schreiben und fragen, wie sie ihre Kindern ins Teenageralter verabschieden können.

Dieser Kloß besteht aus zwei unterschiedlichen Gefühlen: Einerseits sind viele durch die liebevolle Beschreibung ihres Kindes und die vielen schönen Erinnerungen bewegt und traurig. Diese Art der Traurigkeit bei Ihnen spüre ich auch beim Lesen Ihrer Beschreibung von Ihrem Sohn. Er wird nun Zeuge Ihrer Wahrheit und Ihrer Gedanken, Erfahrungen und Gefühle. Das ist sehr wertvoll für ihn. Nicht nur jetzt, mit zwölf Jahren, sondern auch in seiner zukünftigen Rolle als Partner und Vater. Er wird sehr von diesem beispielhaften Verhalten profitieren!

Die zentrale Frage ist natürlich, ob er dies auf eigene Faust herausfindet oder dazu "gezwungen" wird. Die Antwort kennen wir erst in fünf oder zehn Jahren. Es ist gut möglich, dass Sie eine viel besser qualifizierte Ansprechpartnerin für ihn sein können als es Ihre Mutter jemals für Sie war.

Wir wuchsen alle mit selbstzerstörerischen Anteilen in unserem inneren und äußeren Verhalten auf, die sich aus dem Zusammenleben in der Familie ergeben. Manche Merkmale wurden uns aufgezwungen, etwa durch vermeintlich gute Ratschläge unserer Eltern, oder wir haben sie selbst ausgewählt, um uns in der Familie zu behaupten. Das bedeutet, dass uns unsere Kinder immer auch dazu bringen, an uns selbst als Erwachsene zu arbeiten. So geben wir ihnen die Möglichkeit, sich in ihrer individuellen Art zu entfalten.

Es gibt nichts, weshalb Sie traurig sein oder sich schuldig fühlen müssen. Nur selbsternannte Perfektionisten würden das nicht erkennen. Meine Anregung an Sie: Sprechen Sie mit Ihrem Sohn genau in der Sprache, in der Sie mir geschrieben haben, über all das, was Sie bewegt und über das Sie sich Gedanken machen. Sagen Sie ihm, dass Sie ihn immer unterstützen werden, auch wenn sich Ihr Verdacht als richtig erweist. Und dass Sie für ihn mit Interesse da sind, wenn er jemanden zum Reden braucht. (Jesper Juul, 4.6.2017)

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