Freitag, 27 Juli 2018

Kolumne: Wenn Monster unter dem Bett lauern

Über die Angst der Kinder, aber auch jene der Eltern

Frage:

Wir sind vier Familien mit Kindern, die sich einmal in der Woche zum Essen treffen – und natürlich reden wir Erwachsenen dabei oft über unsere Kinder. Wir haben mehrmals über das Thema Angst in Bezug auf die Kinder gesprochen – die Angst vor dem Schlafen, vor Albträumen, vor Monstern unter dem Bett oder hinter dem Vorhang und so weiter. Es würde uns helfen, wenn Sie im Generellen etwas zu diesem Thema schreiben könnten. Wir sehen uns als sichere, ruhige und stressfreie Familien ohne große Konflikte und fragen uns deswegen, warum unsere Kinder trotzdem immer wieder Ängste haben. Mit anderen Worten: Wo kommt die Angst der Kinder her, und wie können wir Erwachsenen unseren Kindern da durchzuhelfen?

Jesper Juul antwortet:

Die meisten Kinder leiden zeitweise mehr oder weniger unter Angst. Oft hat diese Angst wenig oder gar nichts mit dem psychischen Zustand der Eltern zu tun, und manchmal spielt sehr wohl das bewusste oder unbewusste innere und äußere Verhalten der Eltern eine große Rolle. Insbesondere im Vorschulalter haben die Kinder häufig eine 24-Stunden-"Hotline" zu den Gefühlen und Stimmungen ihrer Eltern (die gegenwärtige Entwicklungspsychologie spricht von der Fähigkeit der Kinder, sich auf die Gefühle ihrer Eltern einzustellen). Es ist selbstverständlich, dass Kinder Angst bekommen, wenn ihre Eltern viele destruktive Konflikte haben und laut miteinander schreien oder wenn verbale oder physische Gewalt Alltag ist.

Die versteckte Angst der Eltern

Gleichzeitig kann aber Angst bei Kindern auch Ausdruck einer versteckten Angst der Eltern sein, zum Beispiel der Leistungsangst des Vaters, die er gelernt hat zu verstecken, oder des Perfektionismus der Mutter, der ja auch eine Art Leistungsangst ist. Es kann auch eine Mutter sein, die in der Beziehung zu ihren Kindern eine permanent ängstliche Einstellung entwickelt hat. Oder es geht um die Unsicherheit der Eltern in der Elternrolle und die Angst, etwas falsch zu machen. Diese Unsicherheit entsteht zum Beispiel dann, wenn das Kind häufig unter Angst leidet – und somit ein Teufelskreis eingeleitet ist.

Generell ist es aber so, dass die Angst der Kinder mit noch nicht vorhandenem Wissen und Erfahrung zusammenhängt. Die ganz kleinen Kinder haben vor fremden Menschen, Gesichtern und Situationen Angst. Später entsteht Angst vor Trennung, Dunkelheit, vor dem Einschlafen, neuen Situationen mit fremden Menschen und Ähnlichem. Diese Ängste hängen mit der Entwicklung des Gehirns zusammen.

Die Infrastruktur des Gehirns

Das Gehirn kann vereinfacht ausgedrückt mit einer Infrastruktur verglichen werden – ein komplexes Netzwerk von Verbindungen, die mit einer Geschwindigkeit und Komplexität entwickelt werden, die wir uns gar nicht vorstellen können. Einige von diesen Verbindungen entstehen von alleine, während andere eine Konsequenz von Handlungen, Verhaltensmustern, Gewohnheiten und Erfahrungen sind.

Wenn viele Kinder zum Beispiel eine Zeitlang davor Angst haben, was passieren könnte, wenn sie die Augen zumachen, um zu schlafen, dann kann das damit verglichen werden, wie ein unerfahrener Langläufer reagieren würde, der bisher nur gespurte Loipen gelaufen ist und dann plötzlich in einen dunklen Wald ohne Spur geschickt wird. In dieser Situation helfen die körperliche Nähe der Eltern und ein bisschen Licht beim Bett oft. Somit kann sich das Kind langsam an die Situation gewöhnen und seine eigene sichere Spur finden.

Die Qualität der Beziehung

In dieser Phase sind die Bereitschaft der Eltern, präsent zu sein, und die Qualität der Beziehung zum Kind ganz entscheidend dafür, wie sich die Muster des Kindes entwickeln. Ein ruhiger Erwachsener, der darauf vertraut, dass das Kind schon selbst den richtigen Weg finden wird (zum Beispiel, dass es ist in Ordnung ist, einzuschlafen oder mit fremden Kindern zusammen zu sein), ist die optimale Begleitung. Ein nervöser, irritierter, gestresster, frustrierter oder geistig abwesender Erwachsener ist hingegen kein guter Begleiter. Die fehlende innere Ruhe und das Misstrauen der Eltern in Bezug auf den Lernprozess behindern die Entwicklung eines Kindes.

Genau dieser Aspekt, der den Zustand der Erwachsenen beleuchtet, wurde früher nicht in den Blick genommen. Eltern haben über Generationen den Rat bekommen, sichere, überschaubare und fixe Rahmen für ihre Kinder zu schaffen, um sie darin zu unterstützen, "gesunde Gewohnheiten" zu entwickeln. Das ist ohne Zweifel eine wichtige Voraussetzung, um etwa einschlafen und schlafen zu lernen. Die Kombination aus dem natürlichen Schlafbedürfnis des Organismus und dem Vertrauen in die Führung der Eltern hilft dem Kind, sich auf die dunkle und unbekannte Loipe zu begeben. Wenn das Kind sich auf diesem Weg verloren, desorientiert und ängstlich fühlt und Mama oder Papa ruft, ist es wichtig, ein balanciertes und vertrauensvolles Echo zurückzubekommen. Vergessen Sie nicht, Kinder müssen aus eigenem Bedürfnis schlafen – nicht der Eltern wegen!

Zeit und Ruhe mit dem Kind

Viele Eltern brauchen in Wahrheit das gleiche Training – das bedeutet die Entwicklung eines gesunden Verhaltensmusters in der Rolle als "Einschlafcoach". Auch Erwachsene haben anfänglich oft einen allzu rationalen Zugang: Betrachten Sie die Zeit, die Sie mit Ihrem Kind verbringen, als ein Privileg. Eine halbe oder eine ganze Stunde, in der Sie Ihrem Kind ganz nahe sind, Ihr Kind näher kennenlernen, und in der Sie auch spüren, wie wichtig Sie und Ihr Kind füreinander sind. Entspannen Sie sich in dieser Situation bewusst, auch wenn es nach einem langen Tag schwerfällt. Es ist nicht einfach, neben einem angespannten und gestressten Menschen zur Ruhe zu kommen – auch für Erwachsene nicht.

Auch im Kleinkindalter gelten die gleichen Grundregeln im Umgang mit Angst. Nehmen Sie diese ernst, aber nicht persönlich. Wenn ein Dreijähriger beispielsweise von Monstern unter dem Bett redet, ist es keine gute Idee, deren Existenz zu verleugnen. Es ist besser, das Kind aufzufordern, die Monster zu zeichnen, oder mit ihm darüber zu reden. Zeichnen und Malen sind Formen, in denen sich Menschen manchmal besser ausdrücken können als verbal.

Drei Elterntypen

Die Antwort auf die Frage, was wir als Eltern tun können, um unseren Kindern zu helfen, wenn sie Angst bekommen, sind Empathie und Anerkennung. Typischerweise gibt es bei Eltern drei Stilarten: die überbeschützenden und überbesorgten Eltern, die in Wirklichkeit entweder sich selbst zu beruhigen versuchen oder nicht vertragen, dass ihre Kinder ganz normale Gefühle und Erlebnisse haben; die verständnisvollen Eltern, die die Erlebnisse des Kindes von ihren eigenen Erlebnissen unterscheiden können; und die pragmatisch-intellektualisierenden Eltern, die nicht viel Nähe bieten.

Beispiel: Ein Zweijähriger wacht wegen eines Gewitters mitten in der Nacht auf – weinend und schreiend nach Mama und Papa. Der erste Elterntyp nimmt das Kind zu sich, ist aber selbst so aufgewühlt, dass es lange dauert, bis sich das Kind beruhigt. Der zweite Elterntyp nimmt das Kind zu sich, streichelt es und sagt: "Ja, ich weiß, man kann große Angst bekommen, wenn es draußen so donnert und blitzt, aber hier drinnen bei uns passiert nichts." Der dritte Elterntyp hält das Kind vor sich hin und erklärt ihm die Physik des Gewitters in der unrealistischen Erwartung, dass das rationale Ich des Kindes diese Information aufnehmen kann.

Das Kind in seiner Entwicklung begleiten

Wenn ein Kind Angst erlebt, werden wir mit unserem Drang konfrontiert, das Kind bestmöglich zu beschützen – in äußerster Konsequenz wollen wir die Angst und ihre Ursache von dem Kind fernhalten. Das ist ein schöner Gedanke, aber leider unmöglich. Die frühen Episoden in der Kindheit sind eine gute Übung für Eltern, sich aus der Symbiose mit ihrem Kind zu lösen und zu lernen, dass die vornehmste Rolle von Eltern die ist, sich mit all ihrer Lebenserfahrung und ihrem Überblick zur Verfügung zu stellen. Damit wird es dem Kind ermöglicht, seine eigene Art und Weise zu entwickeln, wie es sein Leben meistern kann. Das Thema Angst bei Kindern illustriert deutlich, dass Kinder viele Entwicklungsschritte selbst schaffen müssen, aber eben nicht alleine. (Jesper Juul, derStandard.at, 4.5.2014)

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