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Montag, 23 Juli 2018

Kolumne: Wenn Kinder kein Nein akzeptieren

Warum es wichtig ist, dass Eltern zwischen den Bedürfnissen und den Wünschen ihrer Kinder unterscheiden

Frage:

Mein Sohn ist fünf Jahre alt. Er ist ein wilder und temperamentvoller Bub. Eigenschaften, die er definitiv von mir hat. Er hat natürlich auch seine ruhigen Phasen. Ich war die ersten drei Jahre mit ihm zu Hause, und mein Mann und ich sind zu 99 Prozent auf seine Bedürfnisse eingegangen. Er hat kaum geheult, aber er war sehr unruhig, nervös und "quengelig", wollte meistens getragen werden.

Ich schildere Ihnen zwei Alltagssituationen, die uns sehr beschäftigen: Wenn wir ein Treffen mit Kindern haben, ist mein Sohn sehr fixiert auf ein Kind, sodass es ihm schwerfällt, sich von ihm zu trennen, er ist regelrecht abhängig. Wenn sich das Kind kurz allein beschäftigt, steht mein Sohn daneben und ruft die ganze Zeit den Namen des Kindes, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.

Mein Sohn ist dabei auch gern der "Bestimmer". Es kann leider passieren, dass das Kind nicht auf ihn reagiert, so, als wäre es überfordert von seinem aufdringlichen Verhalten. Er ist so rastlos! Mein Sohn fragt mich dann, warum ihn das Kind nicht hört. Ich erkläre ihm dann, dass das Kind vielleicht kurz allein spielen möchte und dass er sich mit etwas anderem beschäftigen könnte, bis das Kind wieder bereit ist, mit ihm zu spielen. Er versucht das auch – ist aber weiterhin mit den Blicken bei dem Kind.

Wenn mehrere Kinder im Sandkasten spielen, steht er daneben und kann sich nicht mit einbringen, stattdessen fängt er an zu albern. Wenn er mit mir allein zu Hause ist, kann er sich gut allein beschäftigen (Rollenspiele, Autos, Buch anschauen, Ausruhen). Auch mein Mann ist sehr engagiert. Es passiert auch öfter, dass ein Kind meinem Sohn sagt, er sei nicht mehr sein Freund, wenn er dies oder jenes nicht macht. Das trifft ihn so sehr, dass er nicht mehr abschalten kann und die Situation unbedingt klären möchte, um die Freundschaft aufrechtzuerhalten.

Manchmal passiert es auch, dass mein Sohn auf ein "Nein" sehr aufbrausend reagiert. Das kann so weit gehen, dass er mich schlägt. Er ist so wütend, dass ich kaum an ihn herankomme, ich versuche mich dann zu entfernen. Er läuft mir hinterher und will die ganze Zeit auf mich einreden. Manchmal gelingt es mir, ihm in Ruhe zu erklären, dass es eben nicht geht, dass er mich schlägt. Er fängt wieder an zu schlagen und kann es einfach nicht lassen.

Wenn andere Leute dabei sind, will ich mit ihm ins Nebenzimmer, nur gelingt es mir nicht, da er absolut nicht mitkommen will. Das Ganze ist mir so unangenehm, dass ich ihm dann sagen muss, dass er bitte kommen soll, sonst werde ich ihn gegen seinen Willen mitnehmen. Aber auch da zeigt er großen Widerstand, und das ganze Theater passiert im Beisein von anderen, es ist dann ein endloser Kampf. Er darf seine Wut und seine Enttäuschung zeigen, aber es kann nicht sein, dass ich mich mittlerweile durch sein Verhalten eingeschüchtert fühle.

Ich versuche wirklich, ruhig und konsequent bei meinem Nein zu bleiben. Wir versuchen, sein Selbstwertgefühl zu stärken, indem wir ihn als Person anerkennen und nicht kritisieren, wir versuchen ihn auch nicht unnötig zu loben. Aber mittlerweile wissen wir nicht mehr, was wir machen können, und brauchen Ihre Hilfe! Vielleicht könnten Sie uns dazu ein paar Sätze schreiben, wir danken im

Antwort

Das erste Beispiel vom Verhalten Ihres Sohnes ist für alle sehr verstörend. Ich denke, Sie müssen eine viel direktere Annäherung finden. Sie versuchen ihm zu erklären, wie sich das andere Kind fühlt. Ihr Sohn hat in seinen ersten drei Jahren nichts über die Gedanken, Werte, Grenzen und Bedürfnisse anderer Menschen gelernt, sodass sich seine Empathie nicht gut genug entwickeln konnte. Deshalb empfehle ich, dass Sie mit ihm über sich sprechen.

Der sehr weise finnische Kinderpsychologe Ben Furman sagte einmal, dass das, was wir als Probleme bei und in Kindern betrachten, keine wirklichen Probleme sind. Es sind einfach Dinge oder Fähigkeiten, die sie noch nicht lernen konnten. Kinder wissen nicht, was sie mit Problemen machen sollen, aber sie lieben es, Neues zu lernen.

In Ihrem Fall ist die Botschaft an Ihren Sohn: Ich sehe, wie du frustriert und enttäuscht bist – und es ist mir aufgefallen, dass wir vergessen haben, dir zu zeigen, wie du dich mit anderen Kindern besser verstehen kannst. Möchtest du das lernen? Ich bin mir sicher, dass er das bejahen wird. Nun können Sie damit beginnen, wie und wann er beispielsweise zu einem anderen Kind "Ich möchte jetzt mit dir spielen, kann ich?" sagen kann. Beobachten Sie ihn das nächste Mal und sprechen Sie mit ihm über seine Erfolge und Misserfolge. Nach ein bis zwei Jahren werden seine sozialen Fähigkeiten deutlich verbessert sein.

Ihre zweite Frage betreffend habe ich den Verdacht, dass Sie zu nett sind und zu viele Wörter verwenden – kann das sein? In dem Alter, in dem Ihr Sohn jetzt ist, ist es dringend notwendig, dass Sie beide aus der Symbiose ausbrechen, die in den ersten 18 Monaten so wertvoll war. Nun ist es an der Zeit, dass sowohl Sie als auch Ihr Sohn unterschiedliche Sehnsüchte, Wünsche und Bedürfnisse haben. Ihre Rolle im Leben Ihres Sohnes besteht nicht darin, dafür zu sorgen, dass er alles bekommt, was er will.

Um Ihres guten Gewissens willen müssen Sie zwischen seinen Grundbedürfnissen wie Essen, ein Dach über dem Kopf haben, Sicherheit, Spielen und Liebe auf der einen und seinen Wünschen auf der anderen Seite unterscheiden lernen. Dieser Lernprozess birgt viele kleine wie große Konflikte mit sich, was nicht bedeutet, dass es keine Liebe mehr zwischen Ihnen und Ihrem Sohn mehr gibt. Es zeigt vielmehr, dass Sie zwei unterschiedliche Personen sind, die beide ihren eigenen und gemeinsamen Raum, den Sie bereits haben, verdienen. (Jesper Juul, 19.6.2016)

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