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Dienstag, 24 Juli 2018

Kolumne: Wenn den Kindern Freundschaften fehlen

Was Eltern bei Trauer und Schmerz darüber tun können

Frage

Ich bin die stolze Mutter von zwei wunderbaren Kindern, einem Burschen von 14 und einem Mädchen von 11 Jahren. Mit dem Vater der Kinder bin ich verheiratet, und wir leben in einem kleinen Ort. Ich schreibe Ihnen, weil ich mir Sorgen um das soziale Leben unserer Kinder mache. Unser Sohn ist sehr gesellig, aber seit dem Start in die Mittelschule hat sich einiges verändert.

In der Schule geht es ihm gut, aber er hat seitdem sehr wenig soziale Interaktionen mit Gleichaltrigen nach der Schule. Er lädt niemanden ein und wird auch nicht eingeladen. Zwar fördern wir immer wieder Kontakte, laden Kinder zu einem Kinoabend ein oder zum gemeinsamen Videospielen. Es kommen auch andere Kinder, aber die Initiative kommt nie von ihm.

Unsere Tochter ist ein bisschen schüchtern und vorsichtig in ihrem Verhalten. Auch sie hat ganz gute Noten, meidet allerdings den Kontakt mit den Mädchen in ihrer Klasse und verbringt die Pausen eher mit den Burschen. Nach der Schule gibt es keinen Kontakt zu ihren Klassenkameraden. Anfänglich gab es Kontakt zu einem Buben, aber auch der ist jetzt lieber mit anderen Burschen zusammen.

Wir haben auch mit der Lehrerin darüber gesprochen. Sie ist sich des Problems bewusst und arbeitet daran, die Gemeinschaft zwischen den Mädchen zu stärken.

Eine gemeinsame Aktivität beider ist eine Theatergruppe von etwa 40 Kindern im Alter von 7 bis 18 Jahren. Hier gedeihen unsere Kinder. Die Mitglieder der Theatergruppe wohnen allerdings über einen großen geografischen Bereich verteilt, und es gibt niemanden aus unserer näheren Umgebung, der mit dabei ist. Wir sind als ganze Familie mit dabei und erleben das als positiv. Es stärkt uns auch als Familie.

Was mich immer wieder traurig macht, ist, zu sehen, wie andere Kinder im Alter unserer Kinder mit Freunden zusammen sind oder auch bei diesen übernachten. Ich habe den Eindruck, dass unsere Kinder an der Seitenlinie stehen, und es tut weh, wenn andere Altersgenossen ein soziales Leben haben und unsere Kinder nicht.

Ich freue mich über jeden Tipp und eine Anleitung, wie ich meinen Kinder zu einem gesellschaftlichen Leben verhelfen kann. Vor allem denke ich daran, wie wichtig es für meine Tochter ist, Freunde und Freundinnen in der Schulzeit zu haben. Ich muss auch zugeben, dass ich mich frage, was wir als Eltern falsch gemacht haben. Es ist mein großer Wunsch, die Situation zu verbessern, denn ich verbringe viel Zeit mit Grübeln und bin in Sorge.

Antwort

Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen, denn Kinderfreundschaften sind heutzutage ein beliebtes Ziel von Moralisten, politisch korrekten Programmen und Methoden. Deren Naivität ist rührend, aber auch erschreckend. Lassen Sie mich damit beginnen, dass Sie nichts "falsch" gemacht haben. Das Einzige, was ich erkennen kann, ist, dass Sie versuchen, Ihre Kinder vor Schmerzen und Trauer zu bewahren.

Natürlich ist es wichtig, dass die Mehrheit der Kinder Freunde hat, oder besser gesagt: einen "besten Freund oder eine beste Freundin". Es ist nicht unbedingt wichtig, mehrere oder viele Freunde zu haben, auch wenn das als selbstverständlich und in Ordnung empfunden wird.

Durch organisatorische und soziale Umstände haben sich die Freiheit und die Möglichkeit, Freunde zu finden, verringert. Ein Versuch, dies zu kompensieren, steht in Amerika mit von Eltern organisierten "Spiel-Dates" in voller Blüte. Freunde zu haben hat sich zu einem "Muss" entwickelt – allerdings nicht durch die Entwicklung psychologischer Gründe, sondern als Ausdruck sozialen Prestiges. Die Beziehungen, die hier zwischen den Kindern entstehen, qualifizieren sich kaum als das, was wir als Freundschaft betrachten.

Echte Freundschaften, die zufällig entstehen und die sich in ihrem eigenen Tempo (schnell, intensiv oder langsam) entwickeln, haben Ähnlichkeiten mit Liebesbeziehungen zwischen den Menschen. Sie enthalten sowohl Freude und Erwartung wie auch Wut, Enttäuschung, Verlust oder Schmerz. Diese Gefühle sind wichtig – damit Kinder und Jugendliche die Chance bekommen, Fähigkeiten für ihr gesamtes Leben zu entwickeln.

Wenn ein Kind einen Freund verliert, reagiert es mit Traurigkeit, Trauer und Selbstvorwürfen und wird sich einsam fühlen. Wenn Sie und Ihr Mann eine liebevolle und vertrauensvolle Beziehung zu Ihren Kindern haben, können Sie über diese Gefühle und Erfahrungen sprechen. Sie können nicht "geheilt" werden, aber Ihre Kinder sind damit weniger allein.

Jene Kinder vieler moderner Eltern, die versuchen, diese Gefühle zu heilen, und so tun, als ob sie nicht existierten, erleben allzu oft, dass es ein Fehler ist, die tatsächlich existierenden Gefühle zu empfinden. Noch schlimmer dabei ist, dass die Mutter oder der Vater die Macht und die Verantwortung tragen, um den Schmerz zu verwalten.

Es gibt keine Eltern, die das können. Die Kinder leben mit ihren eigenen Schmerzen, und wir müssen mit dem Schmerz über ihre Schmerzen leben. So ist das Leben – oder so ist es zumindest, bevor wir damit beginnen, Alkohol, Drogen, Psychopharmaka, Schlaftabletten und verschiedene adrenalin- und hormonausschüttende Aktivitäten dafür zu benutzen, um die Einsamkeit, wenn auch nur für eine kurze Zeit, zu überdecken.

Was können nun Eltern tun? Tee trinken, gemeinsam in Stille verweilen, oder einen gemeinsamen Ausflug machen und dabei mit ihren Kindern über ihre eigenen Erfahrungen und damit verbundene Emotionen sprechen.

Ihre Kinder sind auf dem besten Weg aus der Kindheit in eigene, sehr unterschiedliche Leben. Das Einzige, was Sie tun können, ist, Ihre Gesellschaft anzubieten, eine Tasse Kakao, eine Schulter zum Anlehnen und ein Pflaster. Den Rest machen Ihre Kinder selbst, aber eben nicht allein! (Jesper Juul, 5.7.2015)

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