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Dienstag, 24 Juli 2018

Kolumne: Vorbereitung auf ein Geschwisterkind

Wie ein Einzelkind darauf eingestimmt werden kann, bald eine Schwester oder einen Bruder zu haben

Frage

Wir haben einen Sohn von fünf Jahren und planen, ein weiteres Kind zu haben. Wie kann ich ihn darauf vorzubereiten, der große Bruder zu werden? Was kann ich tun, damit der Übergang vom Einzelkind zum großen Bruder so gut wie möglich verläuft?

Antwort

Diese Frage bekomme ich sehr oft gestellt. Da ich über Ihre Familie nichts weiß, kann ich nur sehr allgemein antworten. Dennoch ist es wichtig zu wissen, dass meine Antwort auf der Information basiert, dass ihr Sohn fünf Jahre alt ist.

Das Erste, was ich Sie fragen würde, wäre, wie Sie Ihren Sohn sehen. Wie lebt er als Einzelkind? Wie geht er in der Regel mit großen Veränderungen um? War er fünf Jahre lang der absolute Mittelpunkt der Familie mit einer Fülle an Aufmerksamkeit? Ist er sozial aktiv oder eher der kleine Philosoph? Wie wird der Übergang in die Schule mit der Ankunft des Babys funktionieren? Die Antworten auf diese Fragen werden Ihnen helfen, Gefühle dafür zu entwickeln, wie er (vielleicht) damit umgehen wird.

Der nächste Schritt wäre, über die eigene Situation als Eltern zu sprechen. Warum brauchen oder wollen Sie ein zweites Kind? Was ist Ihre eigene Erfahrung, falls Sie Geschwister haben? Haben Sie Wünsche, Erwartungen, Träume und Visionen darüber, wie sich die Beziehung unter den Kindern entwickeln soll, oder nehmen Sie es, wie es kommt? Wie sieht Ihr Traum einer engen, harmonischen Beziehung zwischen den Kindern aus? Wird es in Ordnung für Sie sein, wenn die Kinder nicht nach Ihrer Vorstellung miteinander umgehen werden?

Als zukünftigen Bruder mit fünf Jahren würde ich ihn so früh wie möglich einbinden: "Wir haben beschlossen, dass wir noch ein Kind haben werden, und möchten wissen, was du von dieser Idee hältst." Das heißt nicht, dass er zustimmen muss oder wird, aber seine Reaktion wird Ihnen viel darüber sagen, wo er steht. Vielleicht ist er völlig ablehnend, skeptisch oder reagiert spontan voller Freude. Wenn er zum Beispiel skeptisch ist, dann ist es eine gute Idee, mit ihm während der Schwangerschaft über seine Gedanken und Gefühle zu sprechen

An seiner Skepsis wird sich vermutlich nichts ändern. Sie können ihm aber zeigen, dass es okay ist, wie er ist. Je mehr Erfahrung er während dieser Zeit sammelt, desto flexibler wird er sein, wenn sein neuer Bruder oder seine Schwester zur Welt kommt.

Es gibt in unserer Tradition eine starke Tendenz dazu, Kinder auf ihr Alter hinzuweisen: "Jetzt bist du der Große" oder "Du musst vernünftig sein, denn du bist ja der große Bruder." Beide Beispiele sind eine schlechte Idee, nämlich aus dem einfachen Grund, dass die Erstgeborenen zu einem Leben als "groß und vernünftig" verurteilt werden und diese Rolle mit Sicherheit auch ihre negativen Seiten hat.

Haben Sie während der Schwangerschaft diskret ein Auge auf ihn. Beobachten Sie, wie er damit umgeht, ob er sich Gedanken über die Rolle als großer Bruder macht. Was antwortet er, wenn andere Erwachsene ihn nach seinen Gefühlen und Gedanken fragen? Ich betone nochmals: Versuchen Sie nicht, die Art seines Seins zu verändern. Nur so lernen und erfahren Sie mehr darüber, wer er ist. Wenn er gut darauf zu sprechen und glücklich ist, so ist es in Ordnung, gelegentlich mit ihm darüber zu sprechen. Am besten ist es, dabei Ihre Gedanken und Gefühle als Ausgangspunkt zu nehmen, ohne dass dabei ein "Du bist jetzt ein erwachsenes Kind"-Interview entsteht. Wenn er nicht so viel darüber reden will, laden Sie ihn dazu ein aufzuzeichnen, wie die Familie aussehen wird, wenn das Kleine einmal geboren ist.

Die letzten zwei oder drei Monate der Schwangerschaft bieten sich dafür an, dass Ihr Mann sich mehr mit seinem Sohn beschäftigt. Nicht nur deshalb, weil Sie als Mutter introvertierter und sehr auf das Baby fokussiert sein werden und nicht im gleichen Umfang wie früher zur Verfügung stehen. Sondern auch, weil Ihr Sohn Gesellschaft braucht, in der er sich entspannen kann. Sie werden sich vielleicht mehr oder weniger schuldig fühlen, dass Sie für Ihren Sohn nicht mehr so präsent sind wie früher. Das führt oft dazu, dass entweder beide Elternteile versuchen, den Verlust von Zeit, Raum und Aufmerksamkeit zu vertuschen, oder die Mutter leidet, weil die Anforderungen an Sie selbst so hochgesteckt sind und Sie zunächst ein schlechtes Gewissen bekommen, das langsam zur Schuld wächst.

Das macht es für alle Beteiligten schwierig, sich an die neue Familiensituation anzupassen. Seien Sie also vorsichtig mit Aussagen wie "Wir versuchen, ihm so viel Aufmerksamkeit wie vorher zu geben". Das ist einfach nicht möglich und auch nicht notwendig. Kinder brauchen viel Aufmerksamkeit, aber zum Glück nicht annähernd so viel, wie sie tatsächlich benötigen. Nehmen Sie Ihren Sohn einfach wahr, sehen Sie ihn, auch mit weniger Aufmerksamkeit.

Ab dem sechsten Schwangerschaftsmonat ist der Vater der beste Begleiter. Erstens teilt er das gleiche Schicksal mit seinem Sohn: Beide haben vorübergehend ihren Kontakt mit der wichtigsten Frau ihres Lebens verloren, weil sie ihre Energie, Sorgfalt und Aufmerksamkeit in das neue Kind investiert. Je besser sich die Beziehung zwischen Vater und Sohn entwickelt, desto sorgenfreier wird es für Sie als Mutter und die gesamte Familie sein, in der die Bedürfnisse aller wahrgenommen werden können.

Ich hoffe, dass Sie beide sich daran erinnern können, wie radikal Ihr Sohn Ihr Leben verändert hat. So ist es nun auch für ihn. Eine Menge von dem, was er sein ganzes Leben lang gewohnt war, ist jetzt anders.

Geben Sie ihm Zeit und sein Tempo, um mit dieser Revolution in seiner Weise umgehen zu können. Das mag liebevoll und freudig sein oder auch zurückhaltend. Das meiste davon muss er für sich selbst erleben, aber eben nicht alleine. Er wird all seine Energie dafür verwenden, ein großer Bruder zu werden, und wenn es scheitert, ist es deshalb, weil er es zu hart versucht und sich dabei verloren hat. Was er in solchen Zeiten wirklich braucht, sind Empathie, Fürsorge und Anerkennung seiner Eltern.

Vielleicht hat Ihr Sohn die ersten fünft Jahre seines Lebens so viel Selbstgefühl und Vertrauen in seine Eltern aufgebaut, dass er das neue Kind als Aufgabe seiner Eltern sieht und seine Energie für andere Dinge verwendet. Nehmen Sie das als Kompliment und nicht als Mangel an Engagement.

Vielleicht ist er auch schon so "erwachsen", dass er sehr konkrete Gedanken hat und sich mit den Dingen so befasst, wie sie kommen, und vielleicht fängt er erst dann an, sich für seine Schwester oder seinen Bruder zu interessieren, wenn er oder sie groß genug ist, um miteinander zu spielen.

Lassen Sie deshalb nicht die Sorge zum Schatten über der Neugier und Freude werden! (Jesper Juul, 20.12.2015)

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