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Mittwoch, 18 Juli 2018

kolumne: Leben Kinder besser ohne Vater als mit einem schlechten?

Warum es schlecht für alle Familienmitglieder ist, wenn im Zentrum des Familienlebens immer die Kinder stehen

Frage

Ich frage mich, was für meine Kinder schädlicher ist: Wenn sie ohne Vater aufwachsen, oder wenn ich mich weiterhin von ihm schlecht behandeln lasse. Oder können wir Eltern trotz der zurzeit angespannten Situation unsere Beziehung wieder verbessern?

Mein Mann und ich haben zwei Buben im Alter von einem und zwei Jahren. Der Vater liebt seine Kinder über alles und engagiert sich sehr für sie. Er ist sehr lebhaft und herzlich im Umgang mit ihnen, aber auch manchmal abrupt verärgert und laut, besonders in Situationen, wo ich das nicht als adäquat empfinde: Wenn die Buben zum Beispiel in der Früh länger mit dem Anziehen brauchen, wird er laut.

Wir waren als junges Paar wahnsinnig verliebt. Seitdem die Kinder auf der Welt sind, existiert unsere Beziehung fast nicht mehr. Ich bin voll in die Mutterrolle und in die Liebe zu unseren Kindern eingetaucht. Sex gab es schon während der Schwangerschaft kaum, auch nicht auf meine Initiative hin. Seitdem fühle ich mich schlecht behandelt, nicht unbedingt körperlich, aber psychisch. Mein Mann kritisiert mich oft, verspottet mich und gibt mir, wenn überhaupt, einsilbige Antworten. Er ist unfreundlich zu meiner Familie und oft gereizt.

Im Umgang mit unseren Kindern versuchen wir in deren bestem Interesse zu handeln und uns zu organisieren. In unserem Haus fühle ich mich aber irgendwie eingesperrt. Denn ich halte mich sehr damit zurück, zu sagen, was ich wirklich denke und fühle, weil ich Angst vor seinen spitzen Kommentaren habe. Wir streiten zwar nicht, aber trotzdem herrscht eine unruhige Stimmung.

Manchmal ist es unser Leben auch völlig normal. Wir erledigen dann Alltägliches, und im Kontakt mit den Kindern sagt mein Mann lächelnd und fröhlich, dass alles in Ordnung ist. Er ist kein Mann der großen Worte, und es fällt ihm schwer, Gefühle und Gedanken zu äußern. Wenn ich ihm eine gemeinsame Gesprächstherapie vorschlage, lehnt er diese kategorisch ab. Ich habe das Gefühl, dass ich ihn einfach nicht erreiche.

Ich möchte an unserer Beziehung arbeiten, weil ich denke, dass es kein gutes Umfeld für die Kinder ist. Deshalb frage ich mich immer mehr, ob es nicht besser wäre, mich zu trennen, solange die Kinder noch so klein sind. Aus meiner Sicht ist es wichtig, Kindern eine sichere Umgebung während ihres Aufwachsens zu geben, im Idealfall mit Vater und Mutter. Ich empfinde es als eine Niederlage und habe Angst davor, den Kindern emotional zu schaden, wenn sie mit getrennt lebenden Eltern aufwachsen müssen.

Allein die Vorstellung macht mich unendlich traurig. Ich hatte so gehofft, dass wir als Familie bestehen, als Eltern gemeinsam am Leben unserer Kinder teilnehmen können, und ich kann mir nicht vorstellen, mit einem anderen Partner all das zu erleben. Ich möchte auch nicht daran denken, wie es wäre, wenn unsere Kinder eine "Stiefmutter" hätten. Ich bin etwas ratlos und brauche Ihre Hilfe, für welches der beiden Übel ich mich entscheiden soll.

Antwort

In der Fachwelt wird seit vielen Jahren darüber geschrieben, dass die Eltern in modernen Familien zwischen Fürsorge für die Kinder und dem Versuch, die intime Paarbeziehung miteinander weiterzuleben, hin und her gerissen sind. Das zeigt ihr Beispiel ganz gut. Klar ist: Im Familienleben beeinflussen alle Mitglieder einander, sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten.

Dass die Beziehung zu Ihrem Mann gerade jetzt, nach zwei Kindern, in der Krise steckt, ist normal. Sie sind zwei Erwachsene mit unterschiedlichen Bedürfnissen, wobei im Zentrum des Familienlebens meist die Kinder stehen. Das ist schlecht für alle Beteiligten. Das Leben der Erwachsenen ist auf diese Weise gefährlich auf ein Minimum und auf bestimmte Rollen reduziert – das ist ungesund für die ganze Familie.

Sie haben völlig recht damit, dass es nicht gut für die Kinder ist, wenn sie in einem Zuhause aufwachsen, in dem die Liebe zwischen den Erwachsenen verblasst ist und zusehends verschwindet. Es tut den Kindern nicht direkt "weh", aber es raubt ihnen die Möglichkeit, wichtige Erfahrungen zu machen, die sie in ihrem eigenen Erwachsenenleben benötigen werden.

Immer mehr Paare lassen sich zwei bis vier Jahre nach der Geburt des ersten Kindes scheiden. Der Übergang vom Verliebtsein zur Liebe gelingt ihnen kaum oder gar nicht. Ich empfehle Ihnen, sich selbst zu fragen, ob Sie inmitten all Ihrer anderen Gefühle Sehnsucht nach Ihrem Mann verspüren. Nicht nur was sexuelles Verlangen betrifft, sondern als "Herzenswunsch".

Ist diese Sehnsucht da, gibt es Hoffnung, und Sie könnten Ihrem Mann in Ihren eigenen Worten etwa Folgendes sagen: "Ich bin unglücklich mit Dir, kann aber selbst nicht herausfinden, warum oder was ich anders machen kann. Deshalb möchte ich professionelle Hilfe. Diese bekomme ich nur, wenn Du mit dabei bist. Wenn Du das nicht möchtest, müssen wir uns trennen." Ich könnte mir gut vorstellen, dass Ihnen beispielsweise die sogenannte Imago-Therapie hilft. Sie bewirkt oft, dass Männer sich entspannen und öffnen.

Oder Sie suchen sich einen erfahrenen Familientherapeuten, der sich auf die Beziehung der Erwachsenen konzentriert. Denken Sie daran, dass Ihre Beziehung quasi Ihr erstes gemeinsames "Baby" war und dass dieses Baby dringend die Aufmerksamkeit beider Elternteile braucht, um zu überleben und sich zu entwickeln.

Ihre Gedanken und Sorgen über das Wohlergehen Ihrer Kinder nach einer Trennung oder Scheidung sind verständlich und auch realistisch. Aber auch wenn Sie mit Ihrem Mann nicht zusammenleben können, hängt das Wohlergehen Ihrer Söhne von Ihrer beider Bereitschaft und Fähigkeit ab, miteinander zu kooperieren und zu kommunizieren. Ihre Kinder können bestimmt über Jahre mit dem emotionalen Abstand zwischen ihren Eltern leben. Dagegen würde eine destruktive Kommunikation zwischen Ihnen und Ihrem Mann das Leben Ihrer Kinder für Jahre beeinflussen.

Es gibt Menschen, die nicht zusammen leben können, obwohl sie sich tief lieben. Und es gibt Bedingungen, unter denen der Wille zur Intimität und für den Kampf für die Entwicklung beider verlorengegangen ist. In beiden Fällen gibt es keinen direkt "Schuldigen". Beide Parteien sind meist gleichermaßen, also 50/50, verantwortlich für ihr gegenwärtiges Leben – einschließlich der Tatsache, dass Kinder vielleicht durch ein bestimmtes Verhalten seitens dieser Erwachsenen leiden. (Jesper Juul, 2.7.2017)

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