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Mittwoch, 25 Juli 2018

Kolumne: Eltern in der Krise: Kinder opfern sich auf

Kinder überschreiten ihre Grenzen, um ihre Eltern glücklich zu machen

Frage:

Seit acht Monaten lebe ich getrennt von meinem Partner. Wir haben zwei Kinder (4, 6). Unsere Trennung kam nicht unerwartet, allerdings auch nicht aufgrund von Untreue. Es war eher das Gefühl, dass wir nicht mehr in der Lage sind, miteinander glücklich zu sein.

Es gab Zeiten in denen mein Ex-Partner sehr bedrückt war. Er stand morgens nicht mehr auf, war nicht Teil unseres sozialen Netzes und verbrachte so auch keine Zeit mit gemeinsamen Freunden. Obwohl er trotzdem mit uns sein wollte, fiel es ihm schwer, sich an Aktivitäten mit den Kindern zu beteiligen. So war ich oft einsam in unserer Beziehung. Vor allem an den Wochenenden, wenn andere Familien gemeinsam unterwegs waren und ich alleine mit den Kindern.

Seit der Trennung bin ich in vielerlei Hinsicht glücklicher. Das Problem ist, dass mein Ex-Partner sehr unglücklich ist, auch unsere Kinder, vor allem unsere ältere Tochter. Er tut ihr leid, und sie empfindet eine gewisse Verantwortung, ihren Vater glücklich zu machen. Sie ist sehr besorgt darüber, dass er alleine im Haus lebt und keine Initiative setzt, mit anderen etwas zu unternehmen.

Fixe Besuchszeiten gibt es nicht. Er kommt immer nur spontan und holt die Kinder, wenn ihm danach ist. Sie erzählt auch, dass er oft weint, wenn ich sie von einem Besuch bei ihm abhole. Außerdem ist sie wütend auf mich, weil sie meint, dass ich daran schuld bin, wie es jetzt ist. Sie sagt, dass sie will, dass wir wieder alle zusammenleben, und sie so traurig ist, weil wir jetzt in einem anderen Haus wohnen und es ihrem Papa nicht gut geht. Ich versuche, so gut ich kann, meiner Tochter zu erklären, dass sie nicht für uns verantwortlich ist, und sage ihr auch, dass es okay ist, wenn sie auf mich wütend ist.

Meine Frage ist: Wie schädlich ist es für meine Tochter, dass sie so unglücklich ist, weil es ihrem Vater schlecht geht. Was kann ich tun oder sagen, dass sie mit der Situation besser zurechtkommt?

Ich will nichts Falsches sagen und auch nicht, dass sie den Respekt vor ihrem Vater verliert. Er hat so viele gute Seiten. und ich hoffe, dass er diese irgendwann in seinem Leben zeigen wird. Manchmal kommt mir vor, ich hätte mein derzeitiges Glück gar nicht verdient. Die Trennung war eine Erlösung, und ich fühle mich neu zum Leben erweckt. Leider auf Kosten unserer Kinder und meines Ex.

Antwort:

Es ist schwer, mit einem anderen Menschen zu leben und ihn zu lieben, der sowohl chronisch krank als auch sehr passiv ist. Das ist eine große Belastung. Unser grundlegendes Bedürfnis zu spüren, dass wir von Wert für das Leben eines anderen sind, verschwindet dabei allmählich bis zu dem Punkt, an dem es kein Zusammensein mehr gibt, weil es durch Wut und Schuld oder, wie in Ihrem Fall, durch die Erkenntnis ersetzt wird, dass es selbstzerstörerisch ist.

Kinder setzen dabei ihr Wohlbefinden aufs Spiel und opfern sich auf, um zu helfen. Daher hilft es Ihrer Tochter nicht zu sagen, dass es nicht ihre Verantwortung ist. Ihre Tochter sieht die einzige Möglichkeit, glücklich zu sein, darin, dass Sie als Eltern wieder zusammen sind. Andererseits wäre genau das ein schlechtes Vorbild für sie als Mädchen und Frau.

Die andere Möglichkeit ist, dass ihr Vater aktiv die Kontrolle über sein Leben übernimmt und für ein besseres Leben kämpft.

Sie fragen sich, ob die derzeitige Situation für Ihre Tochter schädlich ist. Schädlich ist ein dramatisches Wort. In Ihrem Fall ist es klar, dass die Situation die Entwicklung Ihrer Tochter als Frau und für ihre zukünftigen Beziehungen zu Männern beeinflussen wird. Ob die Auswirkungen langfristig konstruktiv oder destruktiv verlaufen, können wir jetzt nicht vorhersagen. Das zeigt sich erst in den nächsten drei bis vier Jahren. Im Moment kämpft sie mit einem Cocktail aus Trauer, Wut, Sorge, Hilflosigkeit und Verantwortung. Sie können nur eine liebevolle Begleiterin sein.

Das bedeutet für Sie, dass Sie vorsichtig mit Ausdrücken wie "Ich verstehe deine Wut" sein sollten. Es ist besser, ihr mit Ehrlichkeit zu begegnen, etwa: "Es tut mir leid, dass dich die Trennung so sehr trifft, aber ich hätte mich selbst verraten, wenn wir noch länger zusammengeblieben wären." Die existenzielle Bedeutung dessen wird sie eines Tages verstehen lernen.

Gleichermaßen müssen Sie, wie ich glaube, vorsichtig sein, ihr das Gefühl zu nehmen, für die Einsamkeit ihres Vaters verantwortlich zu sein. Sie wissen selbst um den Drang, anderen zu helfen, und wie wir uns wünschen, dass, wenn jemand selbst nicht in der Lage ist, sich zu helfen, andere es tun könnten. Ihre Tochter zeigt auf ihre Art mit der Sorge um ihren Vater, wertvoll für sein Leben zu sein. Wir Erwachsenen erkennen natürlich, dass das zu viel für ein kleines Mädchen ist, aber das ist, was sie im Moment versucht. Wenn wir ihre Entscheidung zum Problem machen oder versuchen, sie von ihrer selbstgewählten Verantwortung zu befreien, riskieren wir dabei, dass ihr Selbstwertgefühl leidet, und das ist ein schwerer Schlag für sie.

Daher können Sie nicht viel mehr tun, als für sie da zu sein, mit all der Fürsorge, die sie braucht, und dabei hoffen, dass ihr Vater beginnt, mehr Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Er ist der Einzige, der sie entlasten kann. (Jesper Juul, derStandard.at, 26.4.2015)

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