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Dienstag, 24 Juli 2018

Kolumne: Stillen und Schlafen: Kleinkinder sind Gewohnheitstiere

Wenn frühe Essgewohnheiten verändert werden: Einen allgemeinen Rat für alle gibt es nicht, sagt Jesper Juul

Frage

Unsere Tochter ist sechs Monate alt, und wenn es Zeit zum Schlafen ist, wird sie so lange gestillt, bis sie einschläft. Das kann zwischen 30 bis 90 Minuten dauern. Sie schläft im Elternbett, so kann ich sie auch während der Nacht (drei bis vier Mal) in einer Art "Halbschlaf" stillen.

Könnte ihr das vielleicht schaden? Ist es vielleicht gesünder, wenn sie beim "Essen" wach ist? Könnte das ihre spätere Beziehung zu gesundem Essen beeinflussen? Ich habe das Gefühl, dass das Stillen mehr als nur Essen für sie ist (auch für mich). So frage ich mich, ob es wirklich die richtige Form ist, wie sie einschläft. Können wir verhindern, wenn wir uns für eine andere Möglichkeit entscheiden, dass sie sich dagegen auflehnt?

Außerdem möchten wir am Abend mehr Zeit für uns haben. Deshalb möchte ich sie in nächster Zeit ohne Stillen ins Bett bringen und nach ihr sehen, wenn sie etwas braucht. Bis jetzt hatte sie lediglich die Erfahrung, wie schön es ist, wenn sie durch Kuscheln und Stillen einschläft. Unser Schlafzimmer ist gleich neben dem Wohnzimmer, also würden wir sie auch hören. Unsere erste Priorität ist natürlich, dass es ihr gut geht. Natürlich mache ich mir auch Gedanken darüber, wie andere es machen, und welche gesundheitliche Faktoren wir bedenken müssen.

Manchmal versuche ich sie gleich nach dem Stillen hinzulegen – und es ist schon ein paar mal gelungen. Aber sie ist dabei sehr unglücklich, und es ist irgendwie eine unangenehme Art, den Tag zu beschließen.

Gestern habe ich es wieder versucht, und sie war sehr unzufrieden, fast schon wütend. So habe ich mich neben sie gelegt, versucht sie zu beruhigen und mit ihr zu sprechen. Aber sie hat nur geweint, sicher mehr als eine halbe Stunde. Ich hab ihr gesagt, dass es gut für sie ist, wenn sie lernt, ohne meiner Brust im Mund einzuschlafen. Was soll ich sagen ... es hat ihr natürlich nicht gefallen, dass ich etwas andere möchte als sie.

Das führt auch zu Unstimmigkeiten zwischen mir und meinen Mann, wir haben deshalb auch Diskussionen, und mir gefällt es nicht, wie wir darüber reden. Ich fühle mich irgendwie traurig, und plötzlich kommen die Gedanken, dass ich vielleicht etwas zu viel von ihr verlange. Sie ist doch noch so klein.

Letztlich frage ich mich natürlich, wie es sein wird, wenn ich sie ganz abstille.

Antwort

Es gibt zwei Dinge, die über kleine Kinder und Schlaf gesagt werden können. Das Erste: Wenn kleine Kinder müde werden, möchten sie, dass die Eltern auch schlafen. Und: Sie sind Gewohnheitsmenschen.

Die Tatsache, dass sie Gewohnheitsmenschen sind, ist nichts Emotionales, sondern liegt in der Art begründet, wie sich das Gehirn entwickelt. Geformte Muster und Verbindungen im Gehirn können verändert werden, allerdings nicht ohne Frustration. Denken Sie daran, dass gute, stabile Gewohnheiten Sicherheit bedeuten und somit das Gegenteil von Unsicherheit sind.

Versuchen Sie die Situation aus den Augen ihrer Tochter zu betrachten: "Mein ganzes Leben lang wurde ich zum Einschlafen gestillt. Und was passiert denn jetzt?" Genau das ist die Kindheit – gefüllt mit intensiven Lernprozessen, die in Frustration resultieren. Deshalb sollten sie, vielleicht so bald wie möglich, ihren Traum darüber, dass sie niemals wütend wird und sich beschwert, gut verstauen. Vorzugsweise an einem Ort, wo sie ihn nicht wiederfinden.

Sie sind auch gut beraten, die sogenannten Experten-Tipps, wie sie es "richtig" machen könnten, schnell zu vergessen. Es ist vollkommen unmöglich, individuell einen allgemeinen Rat zu geben. Seriöser sind maßgeschneiderte Lösungen. Das Einzige, was ich Ihnen als "Experte" mit gutem Gewissen sagen kann, ist, dass Kinder Schlaf brauchen und es der Job der Eltern ist, dieses Bedürfnis in den ersten zwei Lebensjahren mit den eigenen Bedürfnissen zu koordinieren.

Auch wenn das gelingt, wird es immer Differenzen geben, und das ist kein Grund, sich als Elternteil schuldig zu fühlen oder das Kind zu kritisieren. Alles andere sind Glaubensansätze, die sich ändern wie ein Fähnchen im Wind. Ich habe Eltern in über 13 Ländern getroffen und hunderte zufriedenstellende Wege kennengelernt, wie das Phänomen Schlafen gehandhabt werden kann. Kinder, die alleine schlafen, bei den Eltern oder auch mit Kindermädchen.

Die Schlussfolgerung daraus ist, dass Kinder sich an nahezu alles anpassen, dem sie ihre Eltern aussetzen. Jede Veränderung verursacht Unsicherheit und Frustration, die wir als Eltern nicht verhindern können.

Das gilt auch, wenn Sie entscheiden, ihre Tochter abzustillen. Sie ist einfach zu jung, um irgendetwas über die Bedürfnisse ihrer Mutter und ihres Vaters zu wissen. Das sollte auf jeden Fall bedacht werden. Ihre Erfahrung ist, dass sie der Mittelpunkt der Welt sind und dies fängt mit zirka 18 Monaten an, sich langsam zu verändern.

Wenn Sie abstillen müssen, weil sie zum Beispiel ins Berufsleben zurückkehren, können sie sich verständlicherweise sicher sein, dass ihr das nicht gefällt.

Deshalb machen Sie, was sie schon letzte Nacht gemacht haben: Sagen Sie ihr, was passieren wird, und achten Sie auf Ihre Reaktion. So wie ich Ihre Zeilen interpretiere, möchten Sie gerne einen Konsens, oder liege ich falsch?

Was Sie lernen müssen, ist, die Frustration ihrer Tochter zu tolerieren und mit dieser umzugehen. Vergewissern Sie sich, dass ihre Tochter alle fundamentalen Bedürfnisse bekommt, aber nicht zwingend alles, was sie gerne hätte. Kinder haben keine Ahnung, dass es hier einen Unterschied gibt, und deshalb ist es wichtig, dass ihre Eltern zu unterscheiden lernen.

Der Schlüsselfaktor ist "ein gutes Gewissen". Je mehr Sie sich sicher sind, dass Ihre Tochter das bekommt, was sie braucht, umso besser gelingt es Ihnen zu unterscheiden, was sie will. Wenn Sie sich schuldig fühlen oder Angst vor Konflikten haben, werden diese vermehrt auftreten. Mehr als notwendig.

Sie sind nicht die einzige Mutter, der es schwerfällt, ihre eigenen Bedürfnisse (um eine gute Mutter zu sein) von jenen der Kinder zu trennen. Das Wichtigste ist, dass Sie nach und nach den Unterschied erkennen lernen. Ihr Mann kann Sie dabei unterstützen und guter Gesprächspartner sein, solange Sie nicht in Versuchung geraten, über "richtig" oder "falsch" zu streiten. (Jesper Juul, 17.1.2016)

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