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Freitag, 27 Juli 2018

Kolumne: Problemzone Bett: Waches Kind, müde Eltern

Eltern versuchen oft, die Bedürfnisse des anderen zu erfüllen, und verlieren dabei das eigene Wohlbefinden aus den Augen

Frage:

Mein Mann und ich sind mit unserem Latein am Ende. Wir sind Eltern von Zwillingen und leiden seit mittlerweile dreieinhalb Jahren unter schlechtem Schlaf, was uns die Kräfte raubt und zu Gereiztheit und Verzweiflung in der Familie führt. Zurzeit macht unser Sohn die größeren Schwierigkeiten: Er hat immer wieder Phasen, in denen er in den frühen Morgenstunden aufwacht und ein bis zwei Stunden nicht mehr einschlafen kann. Noch dazu ist er ein Frühaufsteher, sodass wir oft nur zu fünf Stunden Schlaf kommen - die dann vom anderen Kind unterbrochen werden.

Er kommt dann zu uns ins Bett und hindert uns durch seine Unruhe am Weiterschlafen. Wir haben auch immer wieder Bettenrochaden, weil einer von uns Erwachsenen flüchtet.

Schlechte Träume

Ganz schlimm wird es, wenn er seine Schlafstörung mit Wutanfällen kombiniert: Er schreit mitten in der Nacht herum und verlangt, aufzustehen und zu spielen (was wir noch nie zugelassen haben, er versucht es dennoch immer wieder), oder verlangt nach mir und kreischt meinen Mann an, wenn er sich ihm nähert. Mein Mann und ich empfinden das als tyrannisch, sind aber doch auch immer wieder unsicher, ob ein echtes Bedürfnis (innere Not) dabei eine Rolle spielt. Unser Sohn sagt, er träume schlecht und habe auch Angst vor dem Einschlafen. Wir haben ihm aber sehr viel Geborgenheit gegeben bisher.

Diverse Schlaftipps und Varianten haben wir ausprobiert (weniger oder mehr Mittagsschlaf, später oder früher schlafen gehen, in seinem Bett einschlafen, in unserem Bett bei Bedarf einschlafen und dann siedeln, Aufstehlicht etc.). Wir haben aber nicht den Eindruck, dass sich etwas systematisch und dauerhaft ändert.

Heftige Wutanfälle

Beide Kinder kamen extrem früh zur Welt und mussten fast drei Monate im Krankenhaus verbringen (sind aber physisch unbeeinträchtigt und tagsüber munter und lebensfroh daraus hervorgegangen).

Auch tagsüber haben wir seit einigen Wochen viele Konflikte mit ihm, weil er – ein sehr intelligentes und eher aufmerksam-ruhiges Kind – viele Kämpfe mit uns austrägt (Zähneputzen, Sockenanziehen etc.), sehr heftige Wutanfälle bekommt und – anders als seine Schwester – kaum beeindruckbar ist durch elterlichen Zorn oder auch ruhige Versuche, Grenzen zu setzen. Mittlerweile weiß ich nicht mehr, ob er mehr Verständnis braucht oder mehr Grenzen. Wenn es nach unseren Kräften geht, dann mehr Grenzen – aber wie? Fällt Ihnen etwas dazu ein?

Antwort:

Wie Sie sich sicher vorstellen können, gibt es diesen Konflikt aus verschiedensten Gründen in sehr vielen Familien. Nach mehrmaligem Lesen Ihres Briefes habe ich versucht, mir ein geistiges Bild (es ist wirklich nur eine Vorstellung) Ihres Erziehungsstils zu machen. Mein Ergebnis ist, dass Sie versuchen, nicht autoritär zu sein und Konflikte durch Begründungen oder Erklärungen zu lösen.

Sie beschreiben allerdings – wie viele andere Eltern auch – Ihre Kinder und nicht Ihre Situation als deren Eltern. Sie sind jedoch die wichtigsten, machtvollsten und einflussreichsten Personen im Leben Ihres Kindes, basierend auf Ihren Werten, Persönlichkeiten und Ihrem Verhalten.

Sowohl die Bücher, die Sie lesen, als auch der Rat, dem Sie folgen, spiegeln eines wider: Es geht darum, das Verhalten der Kinder zu ändern. Das ist eine sehr beliebte und populäre Idee, die allerdings kaum funktioniert. Wutanfälle wie die Ihres Sohnes sind eines der häufigsten Ergebnisse.

Stellen Sie sich Folgendes vor: Wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihr Ehemann, der nur seine Ruhe haben möchte, immer etwas irritiert wirkt, wenn Sie zu ihm ins Bett kommen? Nun erklärt er Ihnen die verschiedensten (Manipulations-)Methoden, wie Sie seinen Wünschen gerecht werden können. Ich hoffe doch, dass Sie sich in diesem Moment wütend, unzufrieden und sich Ihres Selbstgefühls beraubt fühlen.

Schlüssel zum Elternbett

Sie werden jetzt den Einwand bringen, dass Kinder ja schlafen müssen und auch lernen sollten, wie sie um ihretwillen genug schlafen. Da stimme ich Ihnen völlig zu. Mit dreieinhalb Jahren sollten Kinder die ganze Nacht durchschlafen und nur Zuflucht bei ihren Eltern suchen, wenn sie sich fürchten oder krank sind. Kommt es mehrmals im Monat vor, dass die Kinder nicht schlafen, liegt es am Verhalten der Erwachsenen. Es ist der beste Schlüssel zum Elternbett. Denken Sie daran, es ist die einzige Erfahrung, die Kinder ihr bisheriges Leben lang hatten. Kinder reagieren mehr auf das Verhalten ihrer Eltern als auf deren Worte.

Die Tatsache, dass Sie nun völlig erschöpft sind und nicht wissen, wie es weitergehen soll, ist für Ihre ganze Familie eigentlich eine gute Nachricht. Sie können nun die Art Ihres Elternseins überdenken, um so weitere notwendige Schritte zu setzen, die jedem Familienmitglied viel mehr geben, als es braucht.

In meinen Büchern beschreibe ich diesen essenziellen Konflikt des Zusammenlebens von Eltern und Kindern als den Konflikt zwischen Kooperation und Integrität. Von Geburt an "überkooperieren" Kinder und auch viele Eltern. Jeder versucht die Bedürfnisse des anderen zu erfüllen und verliert dabei das eigene Wohlbefinden und seine persönliche Integrität aus den Augen. Es ist im Grunde eine unendliche Geschichte. In Ihrer Familie müssen wir jedoch im Moment versuchen, die Eltern zu retten. Ihren Zwillingen wird das auch guttun, obwohl sie anfänglich nicht unbedingt erfreut reagieren werden.

Eckpfeiler elterlicher Führung

Der Eckpfeiler der elterlichen Führung ist, dass Sie entscheiden, was Sie wollen, und dies auch Ihren Kindern sagen - ohne sie dabei zu überreden, Motivationstechniken anwenden oder Ihre Wünsche schönreden, oder unter Anwendung von Überredungstaktiken. Solange das, was Sie wollen, keine ernsthaften körperlichen und emotionalen Schäden verursacht oder die seelische Integrität Ihres Kindes betrifft, wird Ihr Kind lernen, Ihnen zu vertrauen.

In Ihrem Falle setzen Sie sich mit den beiden an einem ruhigen Nachmittag oder Morgen zusammen und sagen in etwa Folgendes: "Liebe Kinder. Wie ihr wisst, fühlen wir uns alle schlecht wegen unserer Meinungsverschiedenheiten, die wir aufgrund des Schlafens haben. Wir haben darüber gesprochen und ein paar Entscheidungen getroffen. Wir möchten mehr und auch besser schlafen, als wir es uns, seit ihr geboren wurdet, erlaubt haben. Das bedeutet nun, dass ihr in eurem Zimmer schlafen müsst und wir unser Schlafzimmer für uns haben möchten, außer ihr seid krank." Betrachten Sie dabei die Gesichter Ihrer Kinder und fragen Sie nach, ob sie etwas dazu sagen möchten. Ziemlich sicher werden Sie sehen, wie sich Ihre Tochter entspannt und Ihr Sohn sich anspannt. Laden Sie ihn ein, etwas zu sagen. Nehmen Sie seine Äußerung wahr und gehen Sie zu Ihrer täglichen Routine über.

Kinder müssen nicht alles verstehen

Es ist nicht notwendig, dass Ihre Kinder alles verstehen oder Ihnen zustimmen. Sie müssen nur Ihre klare Botschaft hören. Sie können Ihrem Sohn auch sagen, dass Sie wissen, dass er früh aufwacht, und dass das auch okay ist. Jedoch darf er Sie nicht früher als zu einer bestimmten Uhrzeit aufwecken. Das wird einige Monate dauern. Danach wird er es tun und sogar seine Zeit allein genießen.

Vielleicht möchten Sie vorher noch vor dem Spiegel so lange üben, bis Sie sich mit Ihren Worten wohl fühlen, besonders mit denen, die Sie sonst verwenden, um auszudrücken, wie Sie sich als Eltern wohl fühlen.

Das Ziel ist nicht, Ihre Kindern zum Schlafen zu bringen. Das Ziel für Sie beide ist, Ihre eigenen Grenzen (nicht Meinungen, Theorien oder Methoden) zu entdecken und diese ernst zu nehmen. Danach werden Sie alle nach zwei bis drei Wochen sehr viel besser schlafen. (Jesper Juul, derStandard.at, 27.7.2014)

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