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Donnerstag, 26 Juli 2018

Kolumne: Loslassen kann schmerzvoll sein

Manchmal ist es besser, seinem Kind nicht helfen zu wollen – weil es dadurch die Kontrolle über sein eigenes Leben übernehmen kann

Frage:

Wie geht man mit einem Kind um, das Liebe, Unterstützung, neun Jahre Therapie (psychologisch und schulisch) sowie Coachings erhält und sich nicht äußert, was es will und was es nicht will? Ich bin seit mehr als einem Jahrzehnt damit beschäftigt, dieses Kind zu stützen, zu fördern und zu fordern. Die Situation wird trotzdem immer schlimmer statt besser – trotz kleiner Schritte, es loszulassen, trotz großer Schritte, es über sich selbst entscheiden zu lassen. Dieses Kind will nichts, braucht nichts, ist dauerfrustriert, und niemand kann ihm helfen – keine Therapeuten, keine Eltern, keine Großeltern, auch Freunde interessieren es nicht.

Wie kann man als Elternteil damit umgehen? Aber noch viel wichtiger für mich ist: Wie hilft man diesem Kind?

Antwort:

Wenn wir für eine so lange Zeit erfolglos versuchen, jemandem zu helfen, stellt sich sehr oft der gegenteilige Effekt ein: Die betroffene Person wird süchtig danach, Hilfe zu bekommen, und wird dabei zunehmend abhängig und unverantwortlich.

Manchmal frage ich mich, wie (Psycho-)Therapeuten denken. Warum wird eine Therapie fortgesetzt, wenn jemand mit seinen besten Möglichkeiten versucht hat zu helfen und zumindest Hoffnung und einen Fortschritt anregen konnte? Wieso kann ich mein Unvermögen, dieser Person zu helfen, nicht anerkennen und mich zurückziehen? Jede Person, die Therapie in Anspruch nimmt, kommt mit der (unbewussten) Hoffnung, dass die Therapie helfen wird. Wenn das nicht der Fall ist, wird diese Person die Schuld bei sich suchen und dadurch noch mehr an Selbstwertgefühl verlieren.

Es geht um Liebe

Eine ähnliche Logik gilt für Eltern. Machen Sie Ihr Kind nicht zum Opfer Ihrer Unfähigkeit zu helfen. Hören Sie auf, sich so sehr zu bemühen, und stellen Sie Ihre Liebe zur Verfügung.

Es wird sehr schwierig für Sie sein, weil Ihre Liebe und Sorge zusammen als "Hilfe" verpackt waren. Aber zumindest bringt Sie das beide in die gleiche schmerzvolle Lage: Sie beide müssen nun auf sich achten und Verantwortung für sich selbst übernehmen.

Meine Empfehlung ist, sich dem Kind zuzuwenden und eine Richtungsänderung anzukündigen: "Ich liebe dich über alles, und ich habe über viele Jahre versucht, dir zu helfen. Nun muss ich mir eingestehen, dass meine Versuche nicht hilfreich waren. Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, bis ich das bemerkt habe. Also, von jetzt an werde ich nicht mehr versuchen, die Verantwortung für dein Leben zu übernehmen, und ich hoffe, dass du das nun selbst tun wirst. Ich werde dich trotzdem lieben und für dich da sein."

Ich kann Ihnen nichts versprechen, aber ich habe viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene in allen Abschnitten ihres Lebens erlebt, die die Kontrolle über ihr eigenes Leben übernommen haben, als ihre Helfer aufgaben. (Jesper Juul, derStandard.at, 14.12.2014)

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