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Freitag, 27 Juli 2018

Kolumne: Gedanken eines Sohnes

Über die Unfähigkeit zu vertrauen - und wie man einen Weg findet, dieses Gefühl wiederzuentdecken

Frage:

Manchmal sind Kinder selbst bereits Eltern, um ein größeres Verständnis für ihre eigenen Eltern zu entwickeln. Ich bin 49, männlich, und es sieht nicht danach aus, als ob ich jemals noch Vater werden würde. Warum das so ist, weiß ich nicht, seit einigen Jahren versuche ich eine Antwort darauf zu finden. Es tut mir leid, wenn ich hier nun die Astrologie ins Spiel bringe, aber es ist statistisch auffällig, dass mein Sternzeichen, der Wassermann, sich ungern freiwillig in eine solche Verantwortung begibt. Das wird zumindest behauptet.

Das gilt auch für mich und die Beziehung zu meiner Mutter. Sie hat lange versucht, mir zu erklären, was richtig ist, ohne meine Meinung hören zu wollen. Ich war nervös und hatte immer das Gefühl, dass andere sich gut fühlen mussten, damit ich mich gut fühle. Ich liebe sie und fühle mich ihr verbunden.

Keine inneren Gefühle

Es gibt keine großen inneren Gefühle für meinen Vater, es wird besser. Je mehr ich über das Ende des Lebens nachdenke, um so mehr vermisse ich ihn. Auch ihn liebe ich und fühle mich ihm verbunden. In der Schule und während meines Trainings wurde ich über Jahre hinweg gemobbt. Verweise an die Schule und meine Eltern konnten nicht helfen. Ich habe mich um ein Tempo bemüht, etwas zu sagen, aber auch mein heutiges Verhalten ist noch immer mit wenig Vertrauen verbunden. Offenheit, ja. Neugier, ja. Aber wenn es zu dem Punkt kommt, an dem ich jemanden oder auf etwas vertrauen soll, dann funktioniert das nicht.

Als ein Einzelkind stand ich natürlich oft im Mittelpunkt. Mehr als notwendig, würde ich sagen. Meine Eltern gaben ihr Bestes, und das ist nicht schlecht. Wonach ich mich sehnte, war ein Gegenpart, an dem ich meine Welt für mich erkunden konnte. Aber ich landete nirgendwo. Stattdessen war mein "Ausprobieren" ein böses Erwachen, als ich mit 22 mit LSD in Berührung kam, das dauerte beinahe sieben Jahre. Das Ergebnis sind drei Gedichtsbände und ein vages Gefühl eines Selbst sowie viele Selbstversuche, was es bedeutet, einen Körper in einer Welt zu haben, wenn der Kopf an einem anderen Ort beheimatet ist.

Natürlich konnte ich meine Eltern auf dieser Reise nicht mitnehmen. Über die Jahre kam ich zu der Erkenntnis, dass ich nie mit ihnen abschließen kann. Wir kamen uns näher, sozusagen als Freunde, die man plötzlich versteht. Jedoch in einer Anspannung von Stille und verdrängten Gefühlen. Sie halten zusammen und einander. Etwas, das ich niemals haben werde. Ich muss mich damit abfinden, dass es mir nie möglich sein wird, eine dauerhafte Beziehung mit einer Partnerin einzugehen.

Unangenehme Opferrolle

Nun habe ich das Gefühl, dass ich mich von meinen Freunden in dem Sinne entferne, dass unsere Gemeinsamkeiten nur noch pro forma für Besuche und zur Unterhaltung reichen. Nicht aber als sich unterstützende Freunde. Ich habe mit meiner Karriere als Schriftsteller Probleme, die sich im Außen nicht zeigen. Ich möchte gerne Kinder, aber der Gedanke erschüttert meine eigenen Grenzen der Natur, und ich bin in einem Alter, in dem ich glaube, dass keine gebärfähige Frau mich so lieben würde, wie ich bin. Und es macht mir Angst, meine Familie mit "Handarbeit" ernähren zu müssen, vermutlich die einzige Möglichkeit. Im Großen und Ganzen waren die letzten Jahre von Stress geprägt und von aufgestautem Ärger, der nun nach außen drängt. Kurz gesagt ist es der Ärger der Unterdrückung, der mich in die sehr unangenehme Opferrolle bringt.

Ich würde gerne etwas ändern. Ich beginne zu glauben, dass meine Eltern der Schüssel zu meinem zukünftigen Leben und die Möglichkeit zur Freude sind. Es muss eine Veränderung stattfinden - die Frage ist nur, welche?

Jesper Juul antwortet:

Vielen Dank für Ihre Zeilen, die nicht nur gut durchdacht, sondern auch in der extrem genauen Art eines Dichters geschrieben sind. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen genau auf Ihre Frage eine Antwort geben kann, aber hier sind Gedanken, die mich beschäftigen.

Sie sind ein Mitglied der wohl größten Gemeinschaft, in der es Menschen generell schwierig finden, anderen zu vertrauen. Nicht, weil sie selbst zu wenig Vertrauen hätten oder paranoid wären. Nur, weil sie einfach nicht genug von dem notwendigen Vertrauen aufbringen können, um sich vorbehaltlos auf jemand anderen einzulassen. Die meisten erreichen dabei nicht den Punkt in sich selbst, an dem sie erkennen, dass es mit ihnen zu tun hat, und so haben Sie völlig recht, dass es hilfreich ist, sich mit einem alten Trauma auseinanderzusetzen. Das mag Ihnen manche Erkenntnisse bringen und einiges an Schuld nehmen, aber die Sehnsucht wird von Einsamkeit begleitet.

Gefühl von Sehnsucht

Männern wird oft nachgesagt, dass sie Nähe fürchten. Genauer gesagt geht es hier nicht um Angst. Es ist vielmehr ein enttäuschendes Gefühl von Sehnsucht und Unzulänglichkeit. Meine ganze Erfahrung sagt mir, dass es gelingen kann, in einem vertrauensvollen Verhältnis zu leben, so Sie einen Schritt nach dem anderen machen, in einer Beziehung mit einer Person, die Sie so viel mehr als über die erotische Anziehungskraft hinaus lieben, die keine Angst davor hat, Ihnen für einen Moment lang völlig ungeschützt gegenüberzustehen. Nämlich den Moment, den es braucht, um sich in die Augen zu sehen und zu sagen: "Ich kann dir nicht vertrauen. Das hat nichts mit dir zu tun. Ich wünschte, ich könnte dir vertrauen. Wirst du mich auch lieben können, wenn du weißt, dass ich dir womöglich nicht alles von mir geben kann?"

Wenn dieser erste Schritt erfolgreich verläuft, löst sich die Verteidigungsstrategie langsam auf und macht Lust auf mehr. Die Liebe zu Ihren Eltern hatte Zeit, erwachsen zu werden, und deshalb mag es keine schlechte Wahl sein, dort zu beginnen. Am sichersten ist es, Ihre Mutter zu fragen, Ihnen zuzuhören. Die größere Heilung werden Sie vermutlich erfahren, wenn Sie Ihrem Vater in die Augen sehen und zu ihm sagen: "Papa, ich liebe dich and ich wünsche mir eine andere Beziehung zu dir." So vertrauen Sie ihnen Ihr Leben an und können hoffen, dass sie von ihrem Sohn lernen.

Beide Initiativen wären ein guter Start, um Ihre Opferidentität durch eine andere zu ersetzen. Eine, die Ihnen eine gleichwertigere Beziehung zu jenen Menschen erlaubt, die Ihnen wichtig sind. Sie waren lange genug ein Außenseiter und unerreichbar - oder etwa nicht? (Jesper Juul, derStandard.at, 20.4.2014)

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