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Mittwoch, 25 Juli 2018

Kolumne: Andauernde Sorge ist reines Gift für Kinder

Es gibt in unserer Kultur eine Tendenz zu glauben, dass das Leben schmerzfrei sein soll

Frage:

Ich bin Mutter zweier Söhne und arbeite auch beruflich viel mit Kindern. In Bezug auf meine eigenen Kinder war es mir immer wichtig, ihnen zu zeigen, dass ich sie mit ihren Erfahrungen in bestimmten Situationen oder Ereignissen annehme. Zum Beispiel, wenn einer sich wehtat und weinen musste.

Es gab zum Trost ein Pflaster und die Erlaubnis zu weinen. Ich beobachte allerdings auch oft, dass Kinder zuerst überprüfen, was ihre Eltern denken, oder Angst haben, bevor sie sich selbst etwas trauen. Als ob sie wissen möchten, wie ihre Eltern in diesem Moment funktionieren. Viele Eltern trösten so schnell, dass das Kind die Situation nicht richtig erleben kann. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie dadurch eher trüber und hilflos werden.

Vor einigen Jahren bat ich eine überfürsorgliche Mutter, dass sie damit aufhört, ihrem Kind ständig zu sagen, dass manche Dinge zu gefährlich sind – wie zum Beispiel auf Bäume zu klettern oder schnell zu laufen. Für meine Kinder könnte ich mir das nicht vorstellen, in einer Welt aufzuwachsen, in der ich ständig darauf achten muss, dass sie sich nicht verletzen. Aber nun bin ich älter, habe vier Kinder großgezogen und weiß auch viel mehr.

Die Zeitungen sind voll von Unfällen und schrecklichen Ereignissen, die passieren. Ist es da ein Wunder, dass sich viele fürchten? Ich weiß, dass Kinder sich ernsthaft und schwer verletzen können. Aber habe nicht auch ich zu entscheiden, welche Dinge ich ihnen zutraue, von denen ich glaube, dass sie sie meistern? Ich kann ja nicht ständig vor ihnen herlaufen und alles "Gefährliche" aus dem Weg räumen – oder hinter ihnen gehen, um zu überprüfen, ob sie Angst haben. Ich bin mir sicher, dass sie merken, ob sie sich einer Situation gewachsen fühlen und etwas nicht tun, wenn sie es sich nicht zutrauen. Und auch umgekehrt bin ich zuversichtlich, dass ihnen gelingt, was sie tun. Wie denken Sie darüber?

Antwort:

Ihr Brief ist sehr willkommen! Es ist in der Tat so, dass wir Schmerzen der Kinder nicht verhindern können oder sollten. Die Sorge um Kinder soll eine angemessene Form von Liebe und Fürsorge sein.

Sie haben völlig recht mit Ihrer Beobachtung, dass Ein- bis Vierjährige mit der Einstellung, den Gefühlen und Reaktionen ihrer Eltern kooperieren. Sie beobachten und spiegeln die Reaktionen der Eltern. Das beginnt schon zu Hause im Wohnzimmer, wenn beim Fangenspielen ein Kind zu schnell um die Ecke kommt und mit dem anderen zusammenstößt. Wenn sie von ihren Eltern dazu einen einfachen und nüchternen Kommentar erhalten, erheben sie sich schnell wieder und sind okay.

Reagieren die Erwachsenen mit Entsetzen, Angst, Sorge oder Ähnlichem, beginnen die Kinder zu weinen. Ich erinnere mich an ein achtjähriges Mädchen auf einem Schulausflug zum Meer. Sie stand lange und unschlüssig am Strand, während sich die anderen Kinder bereits im Wasser tummelten. Als wir sie fragten, ob sie denn Angst vorm Wasser habe, antwortete sie nur: "Nein, aber ich denke gerade darüber nach, was meine Mama sagen würde." Andauernde Sorge und übermäßige Angst sind reines Gift für Kinder, deren Selbstgefühl und Selbstvertrauen.

Fahrradhelme oder ein Sicherheitsnetz rund um ein Trampolin sind relevante Erfindungen, um Kopf- oder Rückenverletzungen zu verhindern, während eine 30 Zentimeter dicke Gummimatte unter einer Schaukel auf dem Spielplatz ausschließlich Eltern oder Institutionen als Absicherung dient.

Es gibt in unserer Kultur eine Tendenz zu glauben, dass das Leben schmerzfrei sein soll. Ein Trend, der unseren Kindern die Möglichkeit nimmt, von ihren eigenen, überraschenden Erfahrungen zu lernen, Hindernisse (oft schmerzvoll) zu überwinden und die Folgen ihres Handelns zu begreifen.

Dieser Trend sagt nichts darüber aus, was wirklich gut und gesund für unsere Kinder ist, sondern spiegelt nur den Narzissmus der Erwachsenen – ist also eine Beschäftigung der Eltern für ihr eigenes Selbstbild und Bild als Eltern, das sich nicht über die Kindererlebens-Kompetenz definiert. Gleichzeitig ist es allerdings auch traurig für die Erwachsenen, wenn die Freude und Aufregung der Kinder über Experimente durch Sorge und Angst ersetzt wird.

Kinder sind, wie wir wissen, sehr unterschiedlich. Manche scheinen ein wenig aufmerksamer und vorsichtiger geboren zu sein. Andere bereiten sich auch geistig schon sehr sorgfältig auf die nächste Phase ihrer Entwicklung vor. Es gibt auch solche, die rücksichtslos nach vorne preschen und nur von ihren konkreten Erfahrungen lernen können. Beide Extreme sind, wie sie sind, und Eltern sollten sich nicht wünschen, dass ihre Kinder anders wären. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern und andere Erwachsene sich bewusst werden, wie sie genau dieses Kind am besten in seiner Entwicklung unterstützen können.

Niemand kann eine präzise Antwort auf die Frage geben, wann genau Eltern eingreifen sollten. Eines ist immer wichtig, nämlich sich selbst zu fragen: "Tue ich das, weil es meinem Kind zugute kommt, oder tue ich es, um beruhigt zu sein oder mich selbst zu trösten?" (Jesper Juul, derStandard.at, 12.4.2015)

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